Seit 14 Jahren hat der in Berlin ansässige Produzent und Live-Act Daniel Krajnyak aka Rampue schon kein Album mehr veröffentlicht. Zwischen 2008 und 2020 tingelte er durch die Weltgeschichte und arbeitete in der Zwischenzeit vor allem an seinen Live-Sets. Nun musste also erst eine weltweite Pandemie den fahrenden Musikanten daran hindern, dieses Treiben fortzuführen und somit letztendlich eine neue Platte mit der Öffentlichkeit zu teilen. Corona bringt den Stillstand und dem sonst so weitgereisten Individuum fällt im Lockdown die Decke auf den Kopf. So entstand im Februar 2021 das nun vorliegende Rampue-Album „Tragweite“, dem man die Lust am Herumexperimentieren anhört. Inspiriert von einem Modular-Synthesizer (Buchla) hat sich Rampue scheinbar in eine Art Trancezustand produziert, in dem er die Maschinen arbeiten lässt und zufällig Entstandenes durch leichte Strukturen wie dezente Drums oder simple Grooves wieder einfängt. Rampue hat sich freigespielt. Dabei nutzte er den musikalischen Zufall als neuen Impuls und Weg aus einer Schaffenskrise, die zum einen aus der zwangsverordneten Heimisolation, zum anderen aus dem selbst empfundenen Feststecken herrührte. Das Ergebnis ist buchstäblich einzigartig, da sich viele der Klangerzeugnisse nicht rekonstruieren lassen und in Albumform für die Allgemeinheit konserviert sind. Beim Hören von Tragweite drängt sich der Eindruck auf, dass das dialektische Verhältnis von Chaos und Ordnung, getragen auch durch die Art und Weise der Produktion, das bestimmende Thema des Albums ist. Nach einem anfänglich empfundenen Durcheinander tritt im weiteren Verlauf immer mehr eine filigrane Ordnung, die bestimmt wird durch strukturierende Drumpatterns und Basslines, in den Vordergrund. Später dann zerfasert sie wiederum und verliert sich erneut in Klänge und Sounds, die die Maschine kreierte. Es wirkt allerdings nie beliebig, sondern willentlich und gekonnt in Szene gesetzt. So beginnt etwa „Furo“ mit scheinbarer Arrhythmie. Die Kombination aus Bass und dezenten Percussions gießen diese Arrhythmie jedoch in Form, leiten den Track, der nach und nach immer treibender wird, ohne seine Verspieltheit zu verlieren.
Ist man zu Beginn noch geneigt, Downtempo oder Ambient als subsumierende Genrebezeichnungen zu verwenden, ergibt sich doch im weiteren Verlauf des Albums eine so diverse Sound- und Rhythmiklandschaft, dass man beim Hören bereitwillig das eigene Schubladendenken betreffend Musik hinterfragt und letztendlich freudig über Bord wirft. Zu berauschend und erhellend ist das Hörerlebnis, um an einfachen Kategorisierungen festhalten zu können. Die musikalische Bandbreite erstreckt sich von geraden Arrangements, die gänzlich ohne Drum-Grundlage auskommen („Für Dich“), über fast schon meditative Sound-Kollagen („Regengesicht“) bis hin zum Four-to-the-floor-Brecher „Kembang“, der mit einem gewissen Industrial-Appeal eine grimmigere Note in die insgesamt doch eher melancholisch-progressive Kuration einbringt. „Direct Faden“ wiederum überrascht kurz vor Ende der Platte mit seinem einfachen Gitarren-Teppich, auf dem sich die omnipräsenten Synthie- Schnipsel und Flächen austoben dürfen. Als Track, der am ehesten die progressive Produktionsweise mit tanzbarer Clubstimmung verbindet, ist wohl „Phobia“ zu nennen. Wabernde, teils wegbrechende Synthesizer- Sounds steigern sich immer weiter hoch, während das treibende Gemisch aus Bass und Drums konsequent nach vorne geht. Rampue bricht mit seinen alten, musikalischen Gewohnheiten, denn „Tragweite“ erschafft den Eindruck von Improvisation und Jam-Charakter, ohne sich zu verlieren. Rampue nimmt seine Hörer*innen mit auf eine Reise, die aufrüttelnd und bewegend ist, manchmal fordernd oder gar etwas verstörend, dabei aber stets eins: unfassbar spannend.
Quelle: Ballyhoo Media