© Marie Staggat

DJ Abyss im Interview

Seit über 30 Jahren ist Abyss als DJ aktiv und prägte als einer der innovativsten DJs Deutschlands die Szene der 90er und frühen 2000er mit. Obwohl sich der gebürtige Frankfurter und seit 1995 in Berlin lebende DJ im Laufe seiner Laufbahn vorwiegend hinter den Kulissen bewegte, schaffte er es als einer der wenigen ostdeutschen DJs, sich auch international durchzusetzen.

Sein schneller Aufstieg als DJ katapultierte ihn 1994 erstmals in die Top Ten der beliebtesten deutschen DJs. 2004 zieht er sich vorerst aus dem aktiven DJ- & Produzentengeschäft zurück, um sich mehr seinem Familienleben zu widmen. Seit 2012 kehrt er mit regelmässigen Mixen auf Soundcloud wieder zurück, im März 2013 spielt er bei einer speziell für ihn angelegten Großveranstaltung erstmals wieder. Von August bis November 2021 entstanden 11 neue Tracks für sein 2. Album Into The Abyss, welches im September 2022 auf Grooves.Land/Kontor New Media erscheint. Wir haben mit DJ Abyss über seine erste Single-Auskopplung Ganymed, die Szene und vieles mehr gesprochen.

© Marie Staggat

Die Musikindustrie ist ja nicht erst seit der Corona Krise im Wandel. Wie kommst Du als Artist, der seit den 90er Jahren aktiv ist, mit dem schnelllebigen Business zurecht?

Ganz ehrlich: das interessiert mich nicht. Die Musikszene ist ständig im Wandel, oder viel zu oft im Refresh Modus. Als die Szene elektronischer Musik im Fokus von Techno (ich rede hier nicht von klassischer elektronischer Musik ala Klaus Schulze o.a.) erst vor 30 Jahren neu entstanden ist, gab es erstmal 10 Jahre der wilden sich überschlagenden Entwicklung neuer Stile, Künstler, Trends.
Alles und jeder war kreativ. Dadurch war das künstlerische und technische Niveau natürlich nicht sehr hoch. Es gab gar nicht genug Zeit zwischen den einzelnen Phasen und Trends für Entwicklungen. Erst als sich diese rasante Entwicklung ab den 2000er Jahren verlangsamte, gab es genug Zeit, sich auch Qualitativ zu entwickeln. Mein Eindruck ist, dass die Entwicklung inzwischen gar nicht so schnell ist. Neue Strömungen stellen sich schnell als bereits früher bestehende und nun neu aufgesetzte Trends heraus. Ich finde das gut.
Denn das Potential der früher entstandenen Stile ist enorm. Manche Stile hatten es aufgrund der schieren Geschwindigkeit der Entwicklung und zeitgleicher massiverer Trends gar nicht geschafft, sich richtig zu entwickeln. Dadurch, dass jetzt nach und nach alles wieder hochkommt und im Gegensatz zu den 90ern nicht nur von jungen aufstrebenden Künstlern, sondern von einer ganzen Riege inzwischen erfahrener Produzenten begleitet wird, kann man deren Potential viel besser weiterentwickeln.
Dadurch, dass ich seit Anfang der 90er schon dabei bin, wirken neue Strömungen auf mich weniger Aufregend, sondern sind eher eine Randerscheinung, auch wenn ich diese in ihrer Weiterentwicklung oft als sehr positiv empfinde.
Was die wirtschaftlichen Strukturen angeht, ist die aktuelle Situation aufgrund meiner Pause eine Neuorientierung. Das Album Konzept hat aufgrund der Streamingplattformen und weiterhin leicht rückläufigen CD Verkäufe, die im Gesamtmarkt nur noch eine untergeordnete Rolle spielen, ausgedient.
Das ist sehr traurig. Tracks wirken im Album-Gesamtkontext ganz anders, als Einzeln. Wie in einem DJ Set kann sich ein Track auf einem Album ganz anders entfalten, als zusammenhanglos als Teil einer stilistisch zusammengestellten oder im schlimmsten Fall sogar KI-gesteuerten Playlist.
Aber die Streamingdienste sind heute der Dreh- und Angelpunkt des Musikbusiness. Sie haben glücklicherweise auch dafür gesorgt, dass die schier undurchdringliche Allianz aus Major-Companies und Medien-Großkonzernen gebrochen wurde, welche im Alleingang die Musikbranche beherrscht und kleinen Künstlern keine Chance gegeben haben, sich zu verwirklichen. Durch die Streamingdienste hat man heute eine schier unerschöpfliche Auswahl verschiedenster Musik.

Man könnte glauben, einige Artists investieren mehr Zeit in Social Media als für ihre Produktionen. Wo setzt Du Deine Schwerpunkte?

Ich glaube, das ist sehr typen-abhängig. Die DJ Szene hat sich natürlich stark verändert. Durch die geänderten technischen Voraussetzungen ist der DJ vom Handwerker zum Entertainer geworden. Und ein guter Entertainer ist extrovertiert und präsentiert sich auch gern in der Öffentlichkeit, sprich in den Sozialen Medien. Dadurch hat er sich im Gegensatz zu den frühen Jahren des Techno und House auch stärker vom Musikproduzenten entfernt. Den dort gibt es viele introvertierte Künstler, die die Öffentlichkeit eher scheuen.
Ich würde mich eher zu zweiterem zählen. Ich nutze die sozialen Medien eher als Informationsweitergabe für meine Arbeit, weniger für Dinge der Selbstdarstellung. Darin bin ich einfach nicht gut. Ich denke, jeder sollte das so machen, wie er es für richtig hält.

Gibt es für Dich denn im Studio technische Herausforderungen, die Du bewusst ausreizt?

Definitiv. Früher konnte man mit einem kleinen Home-Computer wie C64 oder Amiga und ein paar analogen Geräten Musik machen. Das ginge heute nicht mehr. Aber das finde ich extrem spannend. Denn durch die technischen Möglichkeiten der heutigen DAWs und der unzähligen PlugIn Instrumente, Effekte etc. hat man schier unbegrenzte Möglichkeiten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man das jemals vollständig ausreizen kann. Aber das bringt auch völlig neue Herausforderungen.
Das qualitative und auch technische Niveau von Produktionen ist viel höher und damit natürlich auch der Anspruch an neue Produktionen. Früher konnte man in 1 Monat ein Album machen. Heute sitzt man schon mind. 1 Monat nur an der Endproduktion. Für das Mastering von „Into The Abyss“ habe ich mit meinem guten alten Freund Chris Zippel 1,5 Monate gebraucht.
Chris arbeitet durch seine Produktionen von Ich+Ich, Robbie Williams, Pet Shop Boys uvm. natürlich auf dem aktuell höchsten technischen Niveau und hat mich mit harter und weiser Hand auf den aktuellen Stand gebracht, was mir natürlich (gerade was das Finish das Album angeht) sehr geholfen hat. Und wenn dann endlich das Endprodukt fertig ist, möchte man dieses qualitative Niveau auch nicht missen.

Welchen Stellenwert hat elektronische Musik in Deinem Leben und was würdest Du wohl ohne sie machen?

Die elektronische Musik umgibt mein Leben. Dabei konsumiere ich neben elektronischer Musik mindestens genauso viel Musik anderer Stile. Aber ich bin nicht nur mit elektronischer Musik aufgewachsen, sondern in ihr aufgewachsen, wurde von ihr erzogen (oder verzogen). Als ich mit der Musik um 1987 erstmals über HipHouse in Verbindung kam, war es nur ein kurzes Intermezzo als Konsument.
Bereits 1989 haben wir die ersten privaten HipHouse Parties veranstaltet, 1991 den ersten Club „KamithHall“, seines Zeichens erster Techno Club auf dem Gebiet der ehemaligen DDR, gegründet. Ab dieser Zeit war das für mich nicht nur eine Randerscheinung, sondern mein Lebensinhalt. Da ich 1989 erst 17 Jahre alt war, bin ich also „in“ dieser Szene aufgewachsen. Seit dieser Zeit besteht natürlich auch ein großer Teil meines Umfelds aus DJs, Produzenten, Clubbetreibern usw..
Auch als ich 2004 beschloss, einen vorübergehenden Abstand zu der Szene zu suchen, da mir das jahrelange Business den Spaß am Feiern geraubt hatte, blieben die engen Beziehungen zur Szene. Jeder Grillabend, jede Pokerrunde, der Kochabend mit Freunden usw. bestand fast ausschließlich aus Freunden, die aktiv in der Szene waren.
In meiner Firma arbeiten Einlasser, Barkeeper, DJs, Kassenleute, Techniker aus dem Berghain, aus dem Watergate, dem Ritter Buzke usw., welche mich auch in den Abstinenzjahren immer auf dem Laufenden gehalten haben.
Deshalb war es wenige Jahre später wieder ein fließender Übergang zu wöchentlichen Clubbesuchen, aber im Unterschied zu früher kam ich nicht wegen des Business, sondern meiner Freunde wegen und der Spaß am Feiern war wieder zurückgekehrt. Interessanterweise war diese Rückkehr somit die schönste Zeit meines Lebens, weil mir vorher das komplett freie Feiern ohne geschäftliche Verpflichtungen unbekannt war.

Ganz frisch steht Dein Track Ganymed in den Startlöchern – eine erste Auskopplung Deines neuen Albums, welches für September 2022 angekündigt ist. Welche Inpsiration ging in die Produktion von Gandymed?

„Ganymed“ ist die Verbindung der alten Produktionen zum neuen Album. Die Inspirationen dazu waren eigentlich meine eigenen alten Releases, welche im Sommer 2021 als eine Art Best Of Album in den USA nochmals erschienen. Deren Remastering war meine Inspiration. Die Entstehung von „Ganymed“ war etwas anders. Nach mehreren chilligen Brokenbeat Produktionen für das neue Album hatte ich wieder extreme Lust auf einen klassischen 4-to-the-Floor Track.
Das neue Album ist ein Konzept verschiedener Stile, von chilligen Downtempo Tracks bis hin zu Drum&Basss Produktionen. Ich zeige hier erstmals einen größeren Teil meiner musikalischen Lieben elektronischer Musik. In früheren Zeiten war man stilistisch stark gebunden und damit auch eingeschränkt. Bei MFS und Strike Records habe ich nur Trance Releases veröffentlicht, auf Alternate Recordings nur harten und minimalen Techno und auf Grooves Inc. deepen Minimal House.
Aber das war es schon. Aber durch meine Arbeit als Chefredakteur und Herausgeber des Ten Dance Magazins habe ich zig-tausende Releases gehört und festgestellt, dass es in wirklich jeder stilistischen Ausrichtung elektronischer Musik geniale Veröffentlichungen gibt. Man muss sie nur finden. Und wenn ein Stil gerade nicht populär ist oder man keinen Zugang dazu hat, weil man nicht in entsprechende Clubs geht, dann wir man diese tollen Tracks anderer Stile natürlich nicht finden.
Ich hatte diesen Zugang. Deshalb gehören nicht nur House und Techno in ihren Ausrichtungen zu meinen musikalischen Lieben, sondern viele andere Stile auch.

Wie gestalten sich die nächsten Monate für Dich – kommen noch weitere Singles?

Ja, es gibt bei Ende September zum Release des Albums im 2-3 Wochen Rhythmus Single Releases. Die meisten davon werden sich auch auf dem Album befinden. Für mich persönlich liegt der Fokus woanders. Die aktuell veröffentlichten Tracks sind für mich immer die ältesten Tracks der Welt. Die Produktion von Tracks im Studio ist für mich immer ein Ablauf, eine Reise, auf der der nächst-produzierte Track immer auf Grundlage des letzten entsteht.
Deshalb ist das Album-Konzept von „Into The Abyss“, welches Ende 2022 erscheint, auch so ziemlich genau die ausgedünnte Reihenfolge der Track-Produktionen im Studio. Nach der Fertigstellung des aktuellen Albums ging es eigentlich gleich weiter. Somit sitze ich jetzt bereits am folgenden Album für 2023.

Und was steht ganz oben auf Deiner Bucket List für das Jahr 2022?

Meine Bucket-List ist eigentlich abgearbeitet. Kind zeugen, Haus bauen, Buch schreiben, Baum pflanzen, Track releasen, DJ werden 😉 usw., alles abgehackt. Nein, im Ernst, so eine Bucket List gibt es nicht, aber wenn ich so überlege sind die wichtigen Dinge alle erledigt. Ich arbeite ständig mit viel Freude an meiner Firma, sitze viel im Studio, verbringe viel Zeit mit meiner Familie. Ich habe also viel Spaß im Leben, was auch so bleiben kann.

DJ Abyss findet ihr im Netz unter:

Listen on Apple Music

Quelle: Push Hard PR